Der westjapanische Pilgerweg

Das Pilgern boomt! In Europa begeben sich Menschen auf berühmte Pilgerwege, suchen Ruhe und Sinnerfüllung, holen sich Blasen an den Füßen und schreiben über ihre Erfahrungen. Auch in Japan ist das Pilgern (henro) nach wie vor erstaunlich beliebt.

 

Neben innerer Einkehr und Weltflucht zählte von Anfang an das Bedürf­nis nach Ab­wechslung und Exotik. Diese Motivation hat lange Tradition. Man darf nicht vergessen, dass in der Edo-Zeit (ab 1600) Pilgerfahrten zu den wenigen Anlässen zählten, bei denen man die eigene Provinz verlassen durfte. Daher stellte Pilgern so etwas wie die Früh­form des japanischen Tourismus dar. Auch heute ist dieser Aspekt kaum zu übersehen: Die meisten Pilger sind in Reise­bussen unterwegs und abge­sehen von Pilgerhut und -stab auch mit Kamera und Smartphone ausgerüstet.

Foto: Chris Gladis
Foto: Chris Gladis

Eine wichtige Pilgerroute ist der Weg zu 33 Kannon-Tempeln in Westjapan. Es ist nicht entscheidend, einen bestimmten Kannon-Tempel zu erreichen, sondern der Besuche von genau 33, denn die Zahl 33 entspricht den Erscheinungsformen, die dieser Bodhisattva (eine Mittlergestalt wie ein Heiliger) annehmen kann.

Foto: Christian Kaden
Foto: Christian Kaden

Wichtig bei dieser Form der religiösen Übung sind Kalligraphien und Stempel, die an den jeweiligen Tempeln gegen ein gewisses Entgelt in die Logbücher der Pilger eingetragen werden. Eine Pilgerroute gilt dann als absolviert, wenn die vollstän-dige Anzahl von Stempeln im Pilger-Logbuch oder rund um ein Rollbild mit der Abbildung des Kannon eingetragen sind.

 

Im Dezember waren wir nun am Daigoji-Tempel unterwegs, der zu dieser Pilgerroute (und zum Weltkulturerbe der UNESCO) gehört. Der untere Bereich entstand im 10. Jh., 1598 kam der berühmte Garten des Untertempels Sanbō-in hinzu, später das Museum mit seinen bedeutenden Tempelschätzen.

Foto: privat
Foto: privat

Aber der obere Komplex, tief im Wald und hoch am Berg, war unser Ziel. Er ist noch älter, im Jahr 874 gegründet, eine Wirkstätte der Yamabushi aus der Shugendō-Sekte. Dort zu allererst wurde Kannon verehrt - wenn man heutzutage auch seinen Stempel in der unteren Tempelanlage erhält.

 

Yamabushi sind locker organisierte Bergasketen in auffälliger Tracht, deren synkretistischen Praktiken sich höchst­wahr­scheinlich auf vorbuddhistische Bergkulte zurückführen lassen, die dann aber stark vom esoterischen Buddhismus beeinflusst wurden.

 

Man sollte den Aufstieg nicht unterschätzen! Je eine Stunde pro Weg muss man einplanen, und am besten einen der bereitstehenden Stöcke benutzen. Die frische Bergluft, der einsame Weg, die überraschenden Ausblicke gefielen uns, sodass wir fast fünf Stunden - einschließlich Picknick - am Berg verbrachten.

 

Ganz allein waren wir an den beiden alten, als Nationalschätze geltenden Hallen. Eine ist dem Yakushi Buddha (Medizin-buddha), gewidmet, eine der Seiryū Gongen, Schutzgottheit für die gefährliche nördliche Himmelsrichtung. Die helle Sonne schien auf uns und die silbern schimmernden Holzge-bäude, Stille und gute Luft umschloss uns, an windge-schützten Stellen war es angenehm mild.

 

Der Abstieg brachte mir zitternde Beine ein, am Folgetag war Muskelkater vorprogrammiert. Doch trotzdem war es ein wunderbares Erlebnis. Wir kamen gerade noch rechtzeitig unten an, um den Stempel zu erhalten und die Gebäude, einschließlich der Pagode, in der letzten Spätnachmittagssonne zu erleben und unvergessliche Bilder mit heimzubringen.

 

Monika Marutschke